Als DaF-Lehrende sind wir wahrscheinlich alle schon Lernenden begegnet, die versuchen alles richtig zu machen. Sie wollen ständig korrigiert werden und lassen sich jedes noch so unwichtige grammatikalische Detail erklären. Jeder Satz, den sie formulieren, wird vor, während und nach dem Aussprechen bewusst von allen Seiten auf Fehler gecheckt. Dadurch ist es unmöglich, den Prozess des Ausprobierens und des Lernens zu genießen. Nicht zuletzt, weil ihnen der Vergleich mit den Mitschülern immer wieder die eigenen Probleme schmerzhaft vor Augen führt.
Zudem besteht oft eine paradoxe Herangehensweise, was die Hausaufgaben betrifft. Zwar sind sie hoch motiviert, aber Prokrastination („Das mache ich erst, wenn ich viel Zeit habe.“) und Vermeidung („Das mache ich perfekt oder gar nicht!“) sind typische Verhaltensweisen von Perfektionisten. Was wie Faulheit aussieht, ist eigentlich eine große Angst, immer und immer wieder an sich selbst zu scheitern und einfach nicht weiterzukommen.
Das größte Problem ist, dass so ein prokrastinierendes bzw. vermeidendes Verhalten einen zwar kurzfristig vor schlechten Leistungen schützt. Dieses Verhalten kann aber gleichzeitig ein wesentlicher Grund dafür sein, dass man sein eigentliches Ziel, Deutsch zu sprechen, nicht erreichen kann.
Wie können aber wir Lehrende unseren Kursteilnehmenden helfen, sich vor ihrem Perfektionismus zu schützen? Wichtig sind drei Sachen: das richtige Mindset zu schaffen, zu verstehen, wie man beim Kommunizieren handeln soll und festzustellen, wie man den eigenen Lernprozess optimieren kann.
Mindset
- Du bist nicht dumm oder sprachunbegabt
Es mag zwar stimmen, dass manche Menschen, Sprachen leichter lernen als andere. Das heißt aber nicht, dass es für dich unmöglich wäre. Wirklich jeder kann Fremdsprachen lernen – und der Grund, warum es bei dir Probleme gibt, ist sehr wahrscheinlich, dass du noch nicht deine Art zu lernen und deine Art zu sprechen gefunden hast.
- Kommunikation vor Richtigkeit
Erinnere dich in Gesprächssituationen immer wieder daran, dass dies kein Sprachkurs ist und Korrektheit hier niemanden – außer dich – interessiert. Es geht nur darum, ob du Inhalte kommunizieren kannst und wie du dich als Sprecher gibst. Du willst der perfekte Kommunikator sein – nicht der Sprachnerd, der „richtigeres“ Deutsch spricht als die Deutschen!
- Gezielter Aufbau einer Fehler- und Unsicherheitstoleranz
Der Gedanke „Kommunikation vor Richtigkeit“ hat nur dann eine kraftvolle Wirkung, wenn dich nicht jeder eigene Fehler und jedes Nichtverstehen des Gegenübers aus dem Konzept bringt. Durch spezielle Übungen im Sprachunterricht kannst du deine Fehlertoleranz (wenn du sprichst) erhöhen und bei den Hausaufgaben deine Unsicherheitstoleranz (wenn du nicht genau verstehst, was andere sagen).
In Gesprächssituationen
- Keine Metakommunikation
Vermeide es, die Sprache selbst zum Thema des Gesprächs zu machen. Muttersprachler haben dafür normalerweise keine Geduld, da es ihnen nur um die Inhalte geht.
- Keine Fehlerkorrektur
Es ist völlig verständlich, dass du nach einem Fehler zeigen möchtest, dass du weißt, wie es richtig heißt. Das Problem ist nur, dass das mit Blick auf die Kommunikation völlig kontraproduktiv ist. Denn letztlich wiederholst du nur eine Information, die dein Gesprächspartner sicherlich schon beim ersten Mal verstanden hatte.
- Hohe Geschwindigkeit
Wenn sich dein Gesprächspartner langweilt, weil er zu wenig inhaltlichen Input von dir bekommt, wird er recht schnell das Gespräch beenden. Das bedeutet, dass du eine gute Sprechgeschwindigkeit haben solltest, auch wenn das natürlich mehr Fehler bedeutet.
- Keine Wortfindungspausen
Vermeide eine „kommunikativer Leere“, indem du nach Wörtern suchst, ohne etwas zu sagen. Stattdessen kannst du – wie in Deutschland üblich – für das fehlende Wort „Dingsda“ oder „Dingenskirchen“ sagen. Alternativ dazu kannst du auch das englische Wort benutzen oder das Wort aus einer anderen Sprache, die der Gesprächspartner kennen könnte.
- Nonverbale Ressourcen nutzen
Gemäß der Devise von Freddy Mercury – The Show must go on – solltest du alle Möglichkeiten der menschlichen Kommunikation nutzen, wenn dir die Worte fehlen. Dazu gehören Gesichtsausdrücke (Mimik), deine Hände (Gestik), die du auch zum Zeigen verwenden kannst, sowie zufällig herumstehende Gegenstände.
- Humor bei eigenen Fehlern
Nichts wirkt cooler, als über sich selbst lachen zu können, wenn man Fehler macht. Dazu gehört es auch, mitlachen zu können, wenn andere lachen, weil du unfreiwillig etwas Komisches gesagt hast – auch wenn es wehtut!
- Grenzen ziehen
Immer wieder kommt es vor, dass jemand glaubt, dich korrigieren zu müssen – obwohl sie dich ja eigentlich verstanden haben. Sie machen dann genau den gleichen Fehler wie viele Sprachlernende und verwechseln die Gesprächssituation mit einem Sprachkurs. Das solltest du zurückweisen, entweder auf eine unmissverständliche Art: „Danke, aber ich habe schon einen Deutschlehrer“, oder auf eine humorvolle: „Korrigieren ist doch nur was für Klugscheißer!“ Damit zeigst du, dass du nicht nur Humor hast, sondern auch dass du gut Deutsch kannst.
- Deutschlernen hat in deiner Beziehung nichts zu suchen
Wenn du einen deutschen Muttersprachler als Partner hast, solltest du ihn oder sie nicht als Sprachlehrer missbrauchen. Es könnte passieren, dass dein Partner schnell die Lust verliert, mit dir auf Deutsch zu kommunizieren, wenn er dich ständig korrigieren soll. Sinnvoller ist es hier, klare Grenzen zu ziehen und Deutsch dosiert einzubauen, indem ihr vielleicht einmal pro Woche einen „deutschen Tag“ einführt – und am besten ganz ohne Nachfragen und Korrigieren!
Lernschwerpunkte
- Passive Hausaufgaben
Um von den hohen Ansprüchen bei eigener Sprachproduktion wegzukommen, empfehlen sich Hausaufgaben, bei denen du wenig selbst produzieren musst. Dazu zählen insbesondere Lesen, Podcasts hören, sowie Filme und Serien anschauen.
- Wörter nur bei Wiederholung und bei Notwendigkeit nachschlagen
Jedes Wort, das du im Wörterbuch nachschlägst, unterbricht deinen Lese- oder Sehprozess und kostet Zeit – ohne dass du viel dabei lernst. Trainiere hier deine Unsicherheitstoleranz und schlage Wörter nur dann nach, wenn sie wiederholt vorkommen und sie deinem Verständnis wirklich im Wege stehen.
- Nur relevantes Vokabular aufschreiben
Unbekanntes Vokabular – d.h. Wörter und Wendungen – solltest du nur dann aufschreiben und durch Lernen in deinen aktiven Wortschatz überführen, wenn du es originell oder sehr nützlich findest, oder es für dich und deine Art zu sprechen relevant ist. Da du nicht alle 75.000 Wörter der deutschen Standardsprache lernen kannst, solltest du dich vor dem Aufschreiben immer fragen: „Will und werde ich das wirklich benutzen?“
- Finde deine Art zu sprechen
Es gibt in einer Sprache unzählige Möglichkeiten sich auszudrücken und du musst die für dich passende finden. Baue dein Deutsch! Ein Deutsch, das du kennst und das du gerne und sicher benutzt.
- Hörverstehen trainieren – und noch mehr Hörverstehen trainieren
Eine Unterhaltung zu führen ist unmöglich, wenn du dein Gegenüber nicht verstehst. Deshalb ist es von Anfang zentral, dich so viel wie möglich gesprochener Sprache auszusetzen. Und am besten auf deinem Niveau!
- Erlenen von Antwortformeln
Beim Lesen sowie beim Anschauen von Filmen und Serien solltest du nicht nur für dich relevante Wörter, sondern auch idiomatische Wendungen aufschreiben. Die alltägliche Kommunikation hat oft etwas Formelhaftes und viele Situationen wiederholen sich. Am besten trainierst du das durch Filme und vor allem Serien. Hier kannst du die authentische sprachliche Reaktion auf zahlreiche Situationen sehen – und auch pausieren –, um dir Notizen zu machen.
* Ingo Schönleber ist Lehrer für Deutsch als Fremdsprache am Goethe-Institut Berlin. Sein Fokus liegt auf dem Coaching von Lernenden mit besonderen Bedürfnissen, sowie hochgebildeten Expats, die die Lust am Deutschlernen verloren haben. Mehr Artikel von Ingo findest du hier.
> Gekürzte Fassung des Originalbeitrags, den man hier auf Deutsch und hier auf Englisch findet.